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Kohärente Assoziationen

Wenn wir die Malereien von Christine Dohms betrachten, fallen auf den ersten Blick die kleinen Formate auf. 15×30, 20×30, 30×40 cm. Auf den zweiten Blick meinen wir Wasser, Seen, Wolken, Bäume, Nebelschwaden zu erkennen. Doch wenn wir genauer hinsehen, die Bilder aus der Nähe, mit wenigen Zentimetern Abstand betrachten, sehen wir, dass es sich um reine Malerei handelt. Keines der Bilder taugt dazu, im Geographiebuch abgebildet zu werden um eine bestimmte Gegend zu illustrieren. Und dennoch meinen wir, Landschaftliches darin zu erkennen. Farbschichten überlagern sich, geben darunter Liegendes frei, mischen sich zu Formationen, die unser Auge wahrnimmt und unser Gehirn zu Assoziationen anregt.

Das Gehirn des Menschen ist so angelegt, dass es nach Bekanntem sucht. Es hilft uns, Unbekanntes einzuordnen, ihm dadurch das Verunsichernde zu nehmen und uns somit zu beruhigen. Im Gehirn laufen ständig biochemische Reaktionen ab, es findet ein ständiges Wechselspiel zwischen Gedanken und Gefühlen statt, das uns unser gesamtes Leben über begleitet und uns Menschen in unserer Komplexität ausmacht. Wenn wir also die Malereien von Christine Dohms betrachten, sucht unser Gehirn nach Bekanntem, es bildet Assoziationen, stellt Verknüpfungen mit früher Gesehenem her, alles auf der Grundlage komplexer biochemischer Vorgänge. Mittlerweile wissen wir, dass der Anblick eines geliebten Bildes den orbitofrontalen Kortex stimuliert, der auf Schönheit reagiert, sowie ebenso die dopaminergen Neuronen an der Hirnbasis, die aktiviert werden, wenn eine Belohnung zu erwarten ist. (nach: Eric Kandel, Das Zeitalter der Erkenntnis).

Dies erklärt auch, weshalb die Bilder bei jedem Betrachter unterschiedliche Assoziationen auslösen: wir alle haben unterschiedliche Erfahrungen in unserem Leben gemacht, Unterschiedliches gesehen und gefühlt.

Die Malerei von Christine Dohms erreicht uns dort, wo wir am empfindlichsten sind: bei unseren Gefühlen.

Durch die farblich differenzierten Anklänge an Landschaftliches schafft sie es, eine Seite in uns zum Klingen zu bringen, die über den rein rationalen Zugang nicht erreichbar gewesen wäre. Es geht in ihrer Malerei nicht um die Nachahmung von Formen oder Naturalistischem. Die Malerei bildet nicht ab, sondern sie ruft Dinge hervor. Es gibt auch die Landschaften nirgends auf der Welt, sondern sie sind in unserem Inneren, in unseren Erinnerungen. Es geht nicht darum, einen bestimmten See, einen gewissen Hügel abzubilden, sondern „den“ See, „den“ Hügel.

Um nochmals auf das Format zurückzukommen: Die kleinen Formate bewirken eine Konzentration, es entsteht quasi ein „Parfüm“ der Landschaftsmalerei, das sich von der Masse der Eau de Toilettes absetzt. Landschaft braucht keine Quadratmeter großen Formate um zu wirken. Hier reichen wenige Quadratzentimeter um das Wesentliche einer Erinnerung anklingen zu lassen. Ebenso wie die Spur eines Duftes in uns eine Erinnerung hervorruft.

Lightscapes. Die fotografischen Werke

Rede zur Ausstellung „Naturwerk“ im Haus der Katholischen Kirche, Stuttgart Oktober 2024:

Christine Dohms zeigt uns Arbeiten aus ihrem Werkzusammenhang mit dem Übertitel „Lightscapes“. Dieser Titel, der mit dem englischen Wort für Landschaft spielt und den man frei mit „Lichtlandschaften“ übersetzen kann, deutet die Entstehung der Bilder bereits an. 

Hier wird mit Licht gemalt. Christine Dohms malt mit der Kamera.

Obwohl ihr technisches Handwerkszeug die Digitalfotografie ist, ist und bleibt die Malerei ihr ästhetisches Medium. Denn von der ersten Näherung an die motivische Ebene bis zur abschließenden Entscheidung, dass ein Bild nun stimmig und insofern fertig ist, ist der durchlaufene künstlerische Prozess durchweg malerischer Natur. Ein Prozess, der seitens der Künstlerin mit einem Blick und einem Bewusstsein geführt wird, die sich an denjenigen ästhetischen Parametern orientieren, die gerade der Malerei zu eigen sind.  

Wie auch ihre hier ausstellenden Kolleginnen und Kollegen findet Dohms in der Natur einen unerschöpflichen Bilderspeicher vor. Sie fotografiert bevorzugt Wasseroberflächen, denen Lichtspiegelungen, aber auch Wellen und Luftströmungen von vorneherein eine malerische Textur aufprägen. Mit der Kamera fängt sie Ausschnitte und Details aus der Natur ein, die aufgrund ihrer Farben, Strukturen, Rhythmen und Kontraste bereits etwas Malerisches in sich tragen. Die so aufgenommenen Bilder werden in einem zweiten Arbeitsschritt digital kombiniert. Und dabei entsteht wiederum etwas völlig Neues. 

Dabei kommen aber am Laptop keine Effektfilter oder andere softwaregenerierten Aufhübscher zum Einsatz. Stattdessen wird lasiert. Wie in der Lasurmalerei legt Dohms die einzelnen Fotos transparent übereinander. Sie schichtet und schaut, was passiert. Wie es auch der Maler, die Malerin tut, achtet sie darauf, wie der Lasurprozess die gesamte Anmutung des im Werden begriffenen Bildes lenkt: Wie das Licht aus der mit jeder Schicht anwachsenden Tiefe die sich immer wieder neu organisierende Bildanmutung durchleuchtet. Wie Kontraste, Schatten und Lichter miteinander sprechen und in ihrem Zusammenklang das Bild anreichern. 

Bis zu 10 Bildschichten können in Dohms „Lasurfotografien“ übereinander liegen. Der Duktus ihrer Bilder ist von Malerei mit Pigmenten nicht mehr zu unterscheiden. Immer wieder sehen wir in den „Lightscapes“ flimmernde, vibrierende Gesten, die genauso gut von feinen, dezidierten Pinselschlägen herrühren könnten. Die „lightscapes“ von Christine Dohms begegnen uns als abstrakte Lichtgemälde, als autonome Bildwelten, die der künstlerische Blick zwar der Natur entnommen hat, in denen aber der lichtmalerische Prozess die naturgegebenen Qualitäten von Licht, Wasser und Luft zu gänzlich neuen und eigenständigen ästhetischen Qualitäten verwandelt hat. 

Florian Stegmaier, Kulturwissenschaftler

Die Künstlerin Christine Dohms ist immer Malerin, auch wenn sie fotografiert. Seit dem Studium an der Kunstakademie Karlsruhe finden sich in ihren Werken Schichten. Sie schichtet Farbe, sei es in ihren Ölbildern oder in ihren „Lightscapes“, Landschaften aus Licht. Stets interessiert sie, wie die Schichten sich gegenseitig beeinflussen, wie das Untere durch das Darüberliegende schimmert, dessen Farbe verändert und seine Struktur beeinflusst.

Die ihren Bildern zugrunde liegenden Fotografien gestaltet sie so, dass diese bereits Anklänge an Malerei enthalten. Wir sehen in den Ausgangsbildern einem freien Pinselduktus ähnelnde Erscheinungen, die später zu abstrakten Kompositionen zusammengefügt werden.

Die Natur ist der Ausgangspunkt aller Arbeiten. Diese nennt sie passenderweise „Fotomalereien“, da die Kamera die Funktion des Pinsels übernimmt. In der freien, unberührten Natur findet sie das Ausgangsmaterial, das sie im Atelier zu neuen Kompositionen zusammenfügt. Dabei legt sie, wie bei der Malerei, dünne „Lasurschichten“ übereinander, Farbschichten, die nichts verdecken, aber verändern. Somit entstehen gänzlich neue Bildkompositionen, denen man den Ursprung nur noch ganz entfernt oder gar nicht mehr ansieht. Niemals geht es um das reale Abbild, das Ermöglichen einer räumlichen Zuordnung. Immer geht es um Farbe, Form und Struktur. Es offenbaren sich beim Betrachten neue Details, tiefer legende Schichten enthüllen oder verbergen Dinge, die es zu entdecken gilt.

„Es ist bei meinen Bildern wie im Leben. Das Aktuelle überlagert das Vergangene, aber das Darunterliegende gibt wie ein Farbton die Bildstimmung vor. Es ist immer da und beeinflusst das Gesamte.“, so die Künstlerin.

Torhaus im Kloster Sießen, Bad Saulgau 29.06. – 01.09.2024

Am dritten Tag 

Eröffnung der Ausstellung am Samstag, 29. Juni 2024, 14.30 Uhr 

Im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit zeitgenössischer bildender Kunst wird häufig die Begrifflichkeit „innerer Landschaften“ angewandt. Das ist auch und gerade bei den Arbeiten der in Tübingen lebenden Künstlerin Christine Dohms der Fall. Ein intensives Naturerleben vorausgesetzt, erscheint aber zweifelhaft, ob sich überhaupt innere Landschaften von äußeren, draußen in der Natur so vorgefundenen Landschaften tatsächlich abspalten lassen. 

Gewiss ist es Christine Dohms (*1963), die an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Stefan Balkenhol und Silvia Bächli studiert hat, an keiner Stelle etwa um die Wiedergabe konkret bezeichenbarer Topografien und Orte oder die wissenschaftlich exakte Dokumentation klimatischer oder meteorologischer Ereignisse zu tun. Die Fotoarbeiten, die die Künstlerin selbst als Lightscapes (Lichtlandschaften) bezeichnet, stellen vielmehr am Computer weiterbearbeitete Überlagerungen mehrerer, der Natur entnommener, gleichzeitiger Seh- und Sinneserfahrungen dar, die von ihrem eigentlichen Bildgegenstand her auf eine abstraktere (Sinn)Ebene übertragen worden sind. 

So wie es etwa bei Tagen im Gebirge nicht unbedingt darum geht, just in diesem und jenem Tal genau den benennbaren Gipfel X mit der messbaren Höhe Y zu besteigen 

(das wären Koordinaten äußerer Landschaft), sondern auf das leise Glucksen eines Gebirgsbaches zu achten oder aber das wilde Rauschen eines aus der Höhe herabstürzenden Wasserfalls, auf die wechselnden Stofflichkeiten von weichen Almwiesen und dem spröden Schiefergestein dagegen, auf die dahinrasenden Formationen von Wolken und die sich ständig verändernden Himmel, für die ohnehin die Namen fehlen (das dann ganz und gar innere Landschaften), so geht es Christine Dohms in ihren Arbeiten um die komplexe Durchdringung natürlicher Farben, von Licht und Schatten, von Hell und Dunkel, von kleinteilig parzellierten Strukturen auf der einen Seite und weiträumig offenen Flächenbildungen auf der anderen. 

Die äußere, in der Natur sichtbare Landschaft bedingt demnach die sogenannte innere Landschaft. Was die Künstlerin an verschiedenen Orten, in Anbetracht verschiedener Wetterlagen, zu unterschiedlichen Jahreszeiten wahrnimmt – stehende oder leicht bewegte Gewässer, laubbewehrte Baumkronen oder kahles Geäst, sandtrockene Untergründe oder regengetränkte Erde – verdichtet sie in vielschichtigen Überlagerungen mit den Mitteln der Fotografie. Durch und durch Malerin jedoch, die sie ist, sagt Christine Dohms von sich selbst, sie male nun eben mit der Kamera. 

Umgekehrt aber gilt im Übrigen ebenso, dass auch die eigene innere Landschaft die Wahrnehmung der äußeren Landschaft mitbestimmt. Erst indem ich mich nämlich mit der entsprechenden Aufmerksamkeit und Empathie der Natur zuwende (die Mensch und Tier einschließt), entwickelt sich eine – sagen wir mal – „innere Verfasstheit“ (Stimmung, Haltung), die mich die mit dem Naturerleben verbundenen Einzelphänomene auch als Ganzes empfinden lassen. 

Das war schon bei Caspar David Friedrich (1774–1840), dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr mit Museumsausstellungen landauf landab gefeiert wird, nicht viel anders. Mit seinen „Unendlichen Landschaften“ – so der Titel der aktuellen Präsentation der Berliner Nationalgalerie – beabsichtigte er nichts weniger als bloß detailversessene Ortsbeschreibungen der Kreidefelsen auf Rügen, aus dem Riesengebirge oder von Klosterruinen aus seinem Heimatort Greifswald abzuliefern, auf deren Spuren wir späteren Betrachterinnen und Betrachter unsere kulturtouristischen Points of Interest einfach abzuhaken gehalten wären. Als Verfechter einer pantheistisch durchdrungenen Weltsicht sah der Maler der deutschen Romantik viel eher ein Überirdisches, ein „Göttliches“ in der Natur und durch die Natur selbst verkörpert. Auch ihm stellten sich wohl unvermeidlich innere Landschaften bereits beim Sehen, Wahrnehmen und Empfinden äußerer Landschaften ein, sozusagen beim „inneren Malen“, beim Imaginieren des Übernatürlichen mitten in der Natur. 

So trifft denn auch ein bekanntes Zitat von Caspar David Friedrich die in diesem Zusammenhang immer wieder beschworene „Innerlichkeit“ zahlreicher anderer, heute lebender Künstlerinnen und Künstler. In den Naturdarstellungen (besser gesagt: Naturvorstellungen) prominenter Malerpersönlichkeiten über Claude Monet, Ferdinand Hodler bis hin zu Cy Twombly bleiben diese weiterhin wirksam, sowohl in fein nuancierten Seen- und Gartenbildern als auch in der eher aus der Intuition entstandenen, wild ursprünglichen Bildgärten. „Nicht die treue Darstellung von Luft, Wasser, Felsen und Bäumen ist die Aufgabe des Bildners, sondern seine Seele, seine Empfindung soll sich darin widerspiegeln. Den Geist der Natur erkennen und mit ganzem Herzen und Gemüt durchdringen und wiedergeben, ist Aufgabe eines Kunstwerkes. … Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht.“ 

Die Kamera von Christine Dohms freilich nimmt ganz selbstverständlich zunächst alles das auf, was sie (die Künstlerin und die Kamera) vor sich sieht. Nur verwandelt sie eben auch die in der Fotografie sich brechenden Lichtreflexe auf bewegten Wasserspiegeln, die Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch das Dickicht suchen oder die unstet flirrende Sommerhitze in Strukturen, die ebenso gut dem Farbauftrag einer Malerin und den damit verbundenen Pinselstrichen samt vielschichtig durchscheinenden Lasuren entstammen könnten und daher – über das real Gesehene und tatsächlich Berührbare hinaus – bis unter die Oberfläche nach innen reichen.  

Die Farbverläufe der entstehenden Arbeiten sind dabei notwendigerweise dem in der Naturlandschaft Vorgefundenen geschuldet: die überreich grün gesättigten, vibrierenden Lichtfleckenteppiche etwa der näheren Lebensumgebung der Künstlerin im Sommer, die kühl verhaltene Stille nebelverhangener Weiß- und Grautöne der kälteren Jahreszeit in den Bergen, die in sich verschlossenere Farbigkeit der neuen Island-Serie mit der sparsamen Inselvegetation und vulkanisch steingewordener Charakteristik verhaftet. 

Wie nah dann aber doch Außen- und Innenwelten, im Außenraum der Natur sichtbare Wirklichkeit und ihre Umformung mit den Mitteln bildender Kunst beieinander zu liegen vermögen, macht Christine Dohms mit einer eigens für die Sießener Ausstellung entwickelten, großformatigen Arbeit deutlich, die nicht von ungefähr auf der Wand unmittelbar neben einem Fensterausschnitt platziert ist. Kunst und Natur, die Wunder beider Welten verweben sich hier gegenseitig, bieten Untersuchungsobjekte an, was in der einen Welt wirklich greifbar, fassbar erscheint und in der anderen die Vorstellung von dem dem Menschen Unbegreiflichen widerzuspiegeln verspricht. 

In der Ausstellung des Kunstmuseums Chur Otto Dix und die Schweiz sind Gemälde und Zeichnungen von einsamen Engadiner Winterlandschaften zu sehen, die der von den Nationalsozialisten aus dem Amt gejagte und als „entartet“ diffamierte Künstler in den späten 1930-er Jahren geschaffen hat und die seither als Bilder seiner „inneren Emigration“ gelten. Auf der Eingangswand zur Ausstellung ist in großen Lettern ein Zitat aus dem Jahr 1943 von Otto Dix angebracht, der ansonsten nicht gerade für besonders einfühlsame Statements bekannt gewesen ist: „Du solltest doch mal auf einen Gletscher oder bis zu einem Gletscher gehen, es ist schon ein großes urweltliches Erlebnis, und wer im Anblick dieser großen Gewalten nicht an das Schicksal oder an Gott glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen. Eine kleine Drehung der Erdachse für 1.000 Jahre, und das Land, das uns jetzt reich entgegenblüht, sieht so aus wie diese Eiswelt.“ 

In diesem höchst aktuellen Bild – des Gletscherganges und der Gegenüberstellung des reichen Blühens dem Zustand einer ausschließlich eisigen Welt –  klingt die Unverhältnismäßigkeit an zwischen der Momenthaftigkeit individueller Existenz angesichts der für uns so unermesslichen Zeitspanne von Erdgeschichte und Natur. 

Die Arbeiten von Christine Dohms vereinen aber beides in sich. 

Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker, Stuttgart 

Geschäftsführung Künstlerbund Baden-Württemberg 

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